Hermann und Johanna Levy

Kirchweg 82

Hermann Levy wurde am 22.8.1872 in Melsungen als siebtes von insgesamt 12 Kindern geboren. Seine Eltern waren Leib Levy (22.8.1835 – 1899) und Esther, geb. Speier (14.3.1836 in Röhrenfurth – 20.10.1922 in Melsungen).

Hermann Levy wohnte und arbeitete als Verkäufer seit dem 28.10.1893 in Kassel und zwar zunächst in der Unteren Königsstr. 46. Dort arbeitete bereits ein Verwandter, Siegfried Levy in der Firma Gebr. Alsberg und Comp., die Modewaren und Damenkonfektion vertrieb.

 

Exkurs zur Firma Gebr. Alsberg: Die Firma „Gebr. Alsberg“ war nach heutigen Maßstäben ein deutscher Konzern mit Hauptsitz in Bochum, der Kaufhäuser oder Warenhäuser unter verschiedenen Firmen und unterschiedlichen Eigentumsverhältnissen in zahlreichen deutschen Städten betrieb, so unter anderem in Bielefeld, Bochum, Detmold, Dresden, Duisburg, Gelsenkirchen, Hamm, Hildesheim, Iserlohn, Kassel, Mühlheim, Neuss, Oldenburg, Osnabrück, Recklinghausen, Remscheid, Solingen, Wanne-Eickel, Wattenscheid, Witten und Wuppertal. Im Jahre 1930 stand die Gebr. Alsberg AG mit ihrem Umsatz von 200 Millionen Reichsmark im Handel an dritter Stelle in Deutschland hinter den Unternehmen Hermann Tietz und Rudolf Karstadt. Die Familie Alsberg wurde aufgrund ihrer jüdischen Religionszugehörigkeit von den Nationalsozialisten im Zuge der „Arisierung“ enteignet.

Nach einem eher kurzen Zwischenaufenthalt in Bochu, kam Hermann Levy in 1894 zurück nach Kassel, wohnte und arbeitete wieder für Gebr. Alsberg und Comp. in der Unteren Königsstr. 46. Von Oktober 1894 bis Oktober 1896 absolvierte Hermann Levy seinen Militärdienst in Metz, danach wohnte und arbeitete er wieder in der Unteren Königsstr: 46 für Gebr. Alsberg und Comp. als „Commis“ (= Kontorist, Handlungs-gehilfe oder kaufmännischer Angestellter). Am 21.11.1902 zog Hermann Levy in die Theaterstr. 4 um und wird bereits als Kaufmann im Adressbuch geführt, danach zog er am 11.7.1903 an den Friedrichsplatz 13, von dort am 18.2.1904 in die Mauerstr. 2, dann am 11.01.1906 in die Wolfsschlucht 8, dann am 1.8.1907 in die Bismarckstr. 6. In 1907 ist er bereits mit 35 Jahren gemeinsam mit Siegfried Levy Mitinhaber der Firma Gebr. Alsberg und Comp. Die Firma erweiterte ihr Geschäftslokal in 1909 auf das Nachbargebäude Untere Königsstraße 48, seit 1910 wurde zusätzlich mit Teppichen gehandelt. Nach dem 1. Weltkrieg wird der Teppichhandel aufgegeben dafür werden ab 1929 Gardinen mit ins Sortiment aufgenommen und 1933 das Geschäft als Teppich- und Gardinen-Spezialhaus geführt. 1935 wird das Geschäft nur noch in der Unteren Königstr. 46 betrieben, 1936 werden dann „Manufakturwaren“ verkauft.

Ende 1937 übernahm dann Jean A. (der bereits ein Geschäft für Gardinen und Linoleum in der Mauerstr. 22 betrieb) im Zuge der sog. „Arisierung“ das Bekleidungsgeschäft Gebr. Alsberg, Untere Königsstr. 46 und führte beide Geschäfte weiter.

Hermann Levy war verheiratet mit Johanna (Hanna) Levy, geb. Levy, geb. 26.3.1885 in Melsungen, mit der er am 1.11.1911 in die Kronprinzenstr. 10½ zieht. Danach bewohnte die kinderlose Familie Levy seit dem 12.10.1932 im Kirchweg 82 im ersten Stock rechts eine sehr gut ausgestattete und eingerichtete 5-Zimmer-Wohnung mit 174 m2 Wohnfläche, sie waren also wohlhabend.

In einer Liste nach Kleinert und Prinz wird er unter dem Datum 30.1.1933 als „Privatmann“ aufgeführt. Ob er sich bereits 1932 aus dem aktiven Berufsleben zurückgezogen hatte, konnte nicht abschließend geklärt werden.

Auszug aus dem Hausstandsbuch Kirchweg 82
Auszug aus dem Hausstandsbuch Kirchweg 82

Von hier begann ihr Leidensweg, daher werden auch hier, an ihrem letzten „freien Wohnsitz“, zu ihrem Gedenken Stolpersteine gelegt: Anlässlich der „von-Rath-Aktion“ gegen die deutschen Juden wurde Hermann Levy in Kassel von der Gestapo am 9.11.1938 verhaftet und bis zum 26.11.1938 mit 257 anderen Kasseler Männern jüdischen Glaubens im Konzentrationslager Buchenwald (bei Weimar) inhaftiert. Auf behördliche Anordnung mussten Hermann und Johanna Levy am 31.1.1941 in ein sog. Judenhaus in der Moltkestr. 1 (in der Altstadt in der Nähe der Martinskirche gelegen – die Moltkestraße existiert heute nicht mehr) umziehen. Bei diesem Umzug konnte die Familie Levy nur einen kleinen Teil ihrer Habe mitnehmen, der größte Teil blieb in der Wohnung im Kirchweg 82 und wurde dann von SA, SS oder Gestapo abtransportiert und verkauft.

In die Wohnung der Familie Levy wurde dann bereits am 8.2.1941 (also rund eine Woche nach dem Auszug der Familie Levy) der SA-Hauptsturmführer Günter Kühndel, vorher wohnhaft in Berlin, auf Veranlassung der NSDAP eingewiesen.

Gemäß der Polizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden vom 1.9.1941 waren Hermann und Johanna Levy verpflichtet, seit dem 19.9.1941 den sog. Judenstern zu tragen. Am 25.9.1941 erfolgte ein nochmaliger behördlich angeordneter Umzug in ein sog. Judenhaus in der Entengasse 22.

Auszug aus der Transportliste zu Transport XV/1 von Kassel nach Theresienstadt
Auszug aus der Transportliste zu Transport XV/1 von Kassel nach Theresienstadt

In einer Mitteilung der Gestapo Kassel an die Landräte und Polizeidienststellen wurde am 25.8.1942 angekündigt, dass „am 7.9.1942… die restlichen Juden aus dem Regierungsbezirk Kassel nach Theresienstadt abgeschoben werden“. Weiter heißt es: „Sämtliche Juden werden vor ihrem Abtransport nach Theresienstadt in einem Auffanglager in Kasel konzentriert. Vorgesehen für diesen Zweck sind die Bürgerschulen Schillerstraße / Ecke Wörthstraße in Kassel.“ Hermann und Johanna Levy wurden also am 7.9.1942 gemeinsam von Kassel aus mit Transport Nr. „XV/1“ über Chemnitz in das Ghetto Theresienstadt deportiert, wo der Transport am 8.9.1942 ankam. Hermann und Johanna Levy werden in der Transportliste als „Arbeiter“ geführt.

Dieser Transport umfasste insgesamt 843 Personen, davon 752 aus dem Regierungsbezirk Kassel. Unter den aus Kassel mit diesem Transport deportierten Menschen waren auch 54 aus dem jüdischen Altersheim Große Rosenstraße 22 und 76 aus dem jüdischen Altersheim Mombachstraße 17.

Von diesen insgesamt 843 Menschen erlebten nur 71 das Kriegsende. Daran schloss sich am 28.10.1944 ein Transport Nr. „EV“ in das Vernichtungslager Auschwitz an. Dieser Transport umfasste insgesamt 2.030 Personen, von denen nur 171 das Kriegsende erlebten. Hier verliert sich die Spur von Hermann und Johanna Levy. Es muss davon ausgegangen werden, dass beide unmittelbar bei Ankunft im KZ Ausschwitz bei der Selektion der Gruppe der nicht arbeitsfähigen Menschen zugeordnet und in der Gaskammer ermordet wurden.

Hermann Levy wurde 72 Jahre alt. Johanna Levy wurde 59 Jahre alt.

Nach Ende des 2. Weltkriegs wurde noch ein Entschädigungsverfahren durchgeführt, bei dem zwei Neffen und eine Nichte von Hermann und Johanna Levy, nämlich

  • William (Wilhelm) Levy geboren am 7.9.1914 in Melsungen, verstorben am 18.6.1969 in Hinterzarten / Schwarzwald. 
  • Werner Levy geboren am 25.12.1916 in Melsungen, ausgewandert am 23.02.1934 in die USA, verstorben 12.1.1985 in Hollywood, Florida, USA und
  • Henny Chanqeat, geb. Levy geb. 18.5.1910 in Melsungen, ausgewandert am 5.6.1933 nach Italien, verstorben 14.3.1988 in New York City, USA

ein Entschädigungsanspruch zugesprochen wurde.

Leider war es nicht mehr möglich, zu Nachfahren dieser Verwandten Kontakt aufzunehmen.

 


Matthias Eichel    2014

 

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