Horst Wertheim

Weißenburgstraße 8

Horst Wertheim ist am 5. August 1922 in Kassel geboren. Von Geburt an hat er im Haus Weißenburgstraße 8 gewohnt, zusammen mit seinen Eltern Luise und Max Wertheim, seiner Schwester Marion und Großmutter Cäcilie Cilly Lion. Deshalb wird sein Stolperstein auch hier platziert. Schon Cäcilie hatte im 1. Stock des Hauses ihre Wohnung und 1898 ist dort Horsts Mutter geboren.

 

Bis 1933 waren laut Kasseler Adressbuch im selben Haus auch die Geschäftsräume des Immobiliengeschäftes Max Wertheim angesiedelt, das im Handelsregister eingetragen war. Als Prokuristin wird Horsts Mutter Luise Wertheim, gen. Lizzy, vermerkt. Vielleicht ist der Vater Max Wertheim in das schon seit 1918 von den Schwiegereltern Lion geführte Maklerbüro eingestiegen oder hat eingeheiratet.

Nach der Machtübertragung an die NSDAP wurde alles anders. Horst war gerade 11 Jahre alt, da wechselten die Wertheims unter dem Druck von Boykott und Ausgrenzung im Oktober 1933 die angestammte Wohnung und zogen in die Kölnische Straße 77. Nur 6 Monate blieben sie dort. Dann ging es für 1 ½ Jahre nach Niedenstein in die Geburtsstadt von Vater Max. In Niedenstein lebten 1933 noch 70 jüdische Menschen. Die Synagoge wurde in 1938 zerstört und geschändet. Die Flucht von der Großstadt aufs Land und umgekehrt vom Land in die ‚Anonymität‘ der Stadt geschah in der Hoffnung, dadurch die Verfolgungen und Demütigungen etwas zu mildern. Viele Juden haben diese Odyssee hinter sich.


 

Aber schon in 1935 waren die Wertheims wieder in Kassel. Kaiserstraße 12 und 32 und Spohrstraße 1 hießen die jeweils nur kurze Zeit gültigen Adressen. Im Herbst 1940 wurden sie, nach einem kurzen Intermezzo im Akazienwag, in das Judenhaus Schillerstraße 7 gezwungen. Es lässt sich nur erahnen, welche Anstrengungen und Ängste so häufige Umzüge bedeuteten. Von geregelten Einnahmen aus Erwerbstätigkeit waren sie, wie alle Juden, abgeschnitten. Sie mussten von der Substanz leben, wobei die Finanzbehörden sie drangsalierten. Wie bei dem Hin und Her Schulbesuch für Horst und seine 4 Jahre jüngere Schwester Marion aussah, ist nicht vorstellbar. Eine Berufsausbildung des mittlerweile 18-jährigen Jungen wird unmöglich gewesen sein. Zumal jüdische Kinder von den öffentlichen Schulen ausgeschlossen waren. Im Kasseler Gedenkbuch ist eingetragen, dass Horst im Juli 1940 für kurze Zeit allein in Berlin war. Es kann vermutet werden, dass es ein Versuch des Jugendlichen war, Möglichkeiten der „Ausreise“ zu erkunden.

Am 9. Dezember wurde Horst mit Eltern, Schwester Marion und Großmutter Cilly vom Hauptbahnhof mit 1024 anderen Juden in das Ghetto Riga deportiert.

 

Gertrude Schneider, eine Überlebende des Ghettos Riga, amerikanische Historikerin, JG 1928, schildert in ihrem Buch „Reise in den Tod – Deutsche Juden in Riga 1941 – 1944" eine Episode aus dem Nebenlager Salaspils:

 

"Im Dezember 1941 (*) versuchten die Brüder Erich Hanau (18 Jahre) und Herbert Hanau (19 Jahre) aus Salaspils zu fliehen, um zu ihren Eltern und der jüngeren Schwester ins Ghetto zurückzukehren, Sie wurden von der Polizei aufgegriffen und nach Salaspils zurückgebracht, wo sie von Lange und Maywald mit Ohrfeigen empfangen wurden. Da sie von Baracke 2, deren Ältester Horst Wertheim war, weggelaufen waren, wurde Wertheim von Lange beauftragt, zehn Männer seiner Baracke auszusuchen, damit man sie, zusammen mit den beiden Jungen aus Hannover, zur Strafe erschießen könne.

Wertheim (22 J.) nahm Haltung an und sagte in seiner klaren Stimme, die man im ganzen Lager hören konnte: „Herr Sturmbannführer, nehmen Sie mich als Ersten. Die anderen wählen Sie selber aus.“ Lange war starr, aber er tat ihm nichts. Es schien, als ob weder Lange noch die anderen SS-Männer je so einen tapferen Juden gesehen hätten. Bei ihnen galten nach so vielen Jahren andauernder antijüdischer Propaganda die Juden als Feiglinge, Verbrecher, Schänder, Diebe und Betrüger. Und hier stand dieser Sträfling, abgezehrt und müde, und wollte lieber sterben als seine Kameraden dem Tode ausliefern."

* Richtig muss es heißen: Januar 1942. In der englischen Originalausgabe steht

                  In January, 1942, two young boys had escaped from Camp Salaspils”


Horst Wertheim hat sich in aussichtsloser Lage nicht zum Büttel machen lassen. Mit dieser Haltung gehört er zu den Helden des Widerstands. Im Gedenkbuch des Bundesarchivs ist sein Tod für den 5. Juni 1943 im Ghetto Riga eingetragen.

Horst Wertheims STOLPERSTEIN ist von seinem Cousin Dr. Lionel Levison aus Odessa / USA angeregt und unter Mitwirkung der Universität Kassel realisiert worden. Horsts und Lionels Mütter waren Schwestern.

Die Eltern, Schwester Marion und Großmutter Cäcilie gelten als verschollen.

 

 

Quellen:                Stadtarchiv Kassel –  Adressbücher

                               Gedenkbuch    Namen und Schicksale Kasseler Juden – 1933 bis 1945

                               Gedenkbuch Bundesarchiv

                               www.yadvashem.org

                               Gertrude Schneider: Reise in den Tod – Deutsche Juden in Riga, 2008, 2. Auflage

                               Laumann Verlag Dülmen

                               Gertrude Schneider beruft sich dabei auf

                               Josef Katz: One Who Came Back, The Diary of a Jewish Survivor,

                               Published March 27th 2006 by University of Wisconsin Press

 

  Jochen Boczkowski       2013


 

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