Paula und Dr. Beni Schwarzenberger

Lutherstraße 1

Dr. Beni Schwarzenberger

 

Seine Wurzeln liegen im Dorf Untergimpern, einem kleinen Ortsteil von Neckarbischofsheim, im Badischen zwischen Heilbronn und Heidelberg gelegen. Die Schwarzenbergers waren unter den Juden in Untergimpern die zahlreichste Familie. Sein Vater Heinrich, geboren 1834, und seine Mutter Babette, geborene Wollenberger, geboren 1839, hatten vier Söhne und eine Tochter: Adolf, Lehmann, (Ludwig) Simon, Beni und Lina. In Heilbronn betrieb der Vater mit seinen Söhnen Adolf und Heinrich (Ludwig) eine Kleidersammlungsfirma. Der Bruder Lehmann eine Putzwollfabrik. Ab ca. 1900 wohnten sie in Heilbronn.

Beni, der jüngste Sohn von Heinrich und Babette wurde am 9. Januar 1870 in Untergimpern geboren. Bekannt ist, dass er in Heidelberg Medizin studiert und 1894 promoviert wurde. Es ist davon auszugehen, dass Dr. Schwarzenberger seine Frau Paula über seine jüngere Schwester Lina kennen gelernt hat, denn diese hatte Heinemann Barach 1894 in Kassel geheiratet.

Von 1900 bis 1909 wohnte er mit seiner Frau Paula in einem Ortsteil von Heilbronn und war dort als praktischer Arzt und Geburtshelfer tätig. Am 07. Mai 1901 wurde ihr einziges Kind, Sohn Heinrich geboren. Ein Foto aus dieser Zeit (siehe oben) zeigt sein Haus, in dem er wohnte und seine Arztpraxis hatte, mit ihm, seiner Frau und dem Kindermädchen Pauline mit ihrem kleinen Sohn Heinrich im Aufgang zu seinem Haus in Heilbronn-Neckargartach. Auf dem Foto erkennt man auch ein Pferd. Zeitzeugen berichteten, das neben dem Haus ein Kutschgespann und Pferd untergebracht waren, mit dem Dr. Schwarzenberg seine Arztbesuche machte. Sie berichteten auch, dass er in der Bevölkerung große fachliche Anerkennung bekam und sehr beliebt war. Ende 1909 verzog Dr. Beni mit seiner Familie nach Kassel, Grüner Weg 18. Dort lebte die Familie bis September 1931. Sie verzogen unweit in die Lutherstraße 1.

In Kassel praktizierte Dr. Beni als praktischer Arzt, als Wundarzt und als Geburtshelfer. Seine Sprechstunden waren Mo – Fr. 8-10 Uhr und von 15-16 Uhr und Sonntag von 9-11 Uhr angegeben. Das versteht man, wenn man weiß, dass für Juden Sonntag kein arbeitsfreier Tag ist. Im Jahr 1919/20 steht er erstmals mit dem Ehrentitel Sanitätsrat im Kasseler Adressbuch. Dieser Ehrentitel wurde an verdiente Ärzte verliehen.

Anfang 1933 verließ sein Sohn Heinrich mit seiner Familie Kassel. Wegen des stark aufkeimenden Nationalsozialismus war es immer unvorstellbarer geworden, sich in Kassel eine gute friedvolle Zukunft für eine junge jüdische Familie vorzustellen. Sie zogen aus der Berlepschstr. 1 zu den Eltern seiner Schwiegertochter Moritz nach Bielefeld. Das war für Dr. Schwarzenberger sicherlich eine sehr traurige Entwicklung. Unweit von den Schwarzenbergers wohnte Dr. Schwarzenbergers Schwester Lina mit ihrem Mann Heinemann Bachrach in der Gießbergstraße 4.

Auch sehr nah wohnten Paulas Verwandte Weisner in der Mauerstr. 16 und später in der Hardenbergstraße 16. Damit bestand die Möglichkeit von verwandtschaftlichen Kontakten untereinander.

Der Boykott vom 1. April 1933 richtete sich auch gegen Ärzte. Hier ein Foto aus Bielefeld (Stadtarchiv Bielefeld)
Der Boykott vom 1. April 1933 richtete sich auch gegen Ärzte. Hier ein Foto aus Bielefeld (Stadtarchiv Bielefeld)

Die politische Stimmung in Deutschland war im Frühjahr 1933 von der gewaltsamen Machergreifung der Nazis geprägt, so auch in Kassel. Anhand von reichsweit geltenden Rechtsänderungen verschaffte sich Hitler mit der Unterstützung von SA und SS die Grundlage, Jüdische Geschäften, Ärzten und Anwälten das Leben schwer zu machen und nicht beliebte Bürger gewaltsam in Schutzhaft zu nehmen. Die verfassten Rechte der Bevölkerung wurden dadurch massiv eingeschränkt. Nach Prof. Dr. Krause-Vilmar kam es in Kassel bereits am 9. März 1933 in der Oberen und Unteren Königsstraße zu Boykottaktionen jüdischer Geschäfte, die folgendermaßen verliefen: „SA postierte sich vor den Geschäften, filmte diejenigen, die trotz gegenteiliger Aufforderung das Geschäft betraten, riegelte dann die Geschäftszugänge ganz ab, so dass diese Geschäfte schließen mussten. Solche Boykottmaßnahmen waren auch in den Jahren zuvor in Kassel mehrfach von nationalsozialistischer Seite aus inszeniert worden.“ Ein Höhepunkt dieses Treibens waren am 1. April 1933 zwei parallel verlaufende Ereignisse in Kassel. Es begann mit dem reichsweiten Boykottaufruf von SA und SS am 1. April 1933 um 10 Uhr, jüdische Geschäfte, Ärzte und Rechtsanwälte zu boykottieren mit der Parole: "Deutsche! Wehrt Euch! Kauft nicht bei Juden!" Eine Naziaktion am 1. April auf dem Opernplatz unterstrich den reichsweiten Boykottaufruf. Dort wurde ein Esel in einem Konzentrationslager gezeigt. Am Stacheldrahtzaun hing ein Schild, auf dem stand: „Konzentrationslager für Staatsbürger, die noch bei Juden kaufen“.

Prof. Dr Krause Vilmar beschrieb den gewaltsamen Wechsel in Behörden, in Stadt- und Kreisparlamenten so: insbesondere durch

- die gewaltsame Hinderung bei der Ausübung von Mandaten im Stadtparlament

- die Verhängung von Schutzhaft von Mandatsträgern

- die gewaltsame Entfernung und Einschüchterung von Behördenchefs im Polizeipräsidium,im Rathaus und im   Regierungspräsidium

 - die Auflösung und Beseitigung von Stadt- und Kreisparlament.

Sterbeurkunde für Dr. Beni Schwarzenberger
Sterbeurkunde für Dr. Beni Schwarzenberger

Es liegt leider nahe, dass dieses brutale Geschehen im Frühjahr 1933 viele Bürger in Kassel in Angst und Schrecken versetzt hat. Für Dr. Schwarzenberger war das nicht mehr zu ertragen. Als Arzt bekam er, der er den Menschen besonders nahe war, hautnah mit, was sich in Kassel an furchtbaren Veränderungen mit jüdischen und nicht hitlergetreuen Bürgern tat. Viele jüdische Existenzen drohten vernichtet zu werden. Dr. Beni Schwarzenberger wurde am 12. April 1933 in Kassel in den Tod getrieben. Er wurde (erschossen) aufgefunden.

 

Alan Schwarzenberger, ein Nachkomme von Dr. Schwarzebergers Bruder Lehmann, in England gab mir eine Kopie einer Aufzeichnung seines Vaters Rudolf über die Familie Schwarzenberger in der dieser zum Tod von Beni Schwarzenberger sinngemäß folgendes schrieb: „Dass er im April 1933 nach dem Nazi-Boykott des jüdischen Gewerbes Suizid begangen hat.“

 

 

Paula Schwarzenberger, geborene Weisner

 

wurde am 27.05.1879 in Kassel geboren. Ihr Vater Gerson Weisner und ihre Mutter, Lina Caroline Weisner, geb. Fränkel, waren zum Zeitpunkt der Geburt von Paula 20 und 21 Jahre alt. Die Familie wohnte in der Mauerstraße 16, wo der Vater einen Wollwarengroßhandel betrieb. Als Paula 3 ½ Jahre alt war, bekam sie einen jüngeren Bruder, Max. Sie wuchsen zusammen in Kassel auf. Über die Schulzeit von Paula ist uns nichts bekannt.

 

 

Eine Spur, wie es dazu kam, dass Paula und ihr Mann, Beni Schwarzenberger sich kennen lernten, führt zu Lina Schwarzenberger, der jüngeren Schwester von Beni. Lina hatte in Kassel 1894 Heinemann Bachrach geheiratet. Es ist anzunehmen, dass sich die Familien Weisner und Bachrach in Kassel kannten und Paula ihren zukünftigen Mann über die Familie Bachrach kennengelernt hat. Paula war 21 Jahre alt, als sie 1900 verheiratet mit ihrem Mann, Dr. Schwarzenberger in Neckargartach wohnte. 1901 wurde der Sohn Heinrich geboren. Für den Sohn hatten sie ein Kindermädchen „Pauline“ eingestellt.*

Die Schwiegertochter von Pauline erzählte als Zeitzeugin, „dass es ihrer Schwiegermutter in dieser Familie sehr gut gegangen sei. Täglich ging sie mit dem kleinen Sohn ins Gasthaus Schiff. Dort musste das Kind und auch sie selbst ein Glas Milch trinken. Bei gutem Wetter saßen sie miteinander in der Gartenwirtschaft unter den großen Kastanien mit Blick auf den Neckar. Die Köchin musste Fleisch kaufen und Suppen kochen, die dann den bedürftigen Kranken ins Haus gebracht wurden.“ Als Heinrich 9 Jahre alt war(1910) verzog die Familie nach Kassel und wohnte „Grüner Weg 18. Dort war auch die Arztpraxis ihres Mannes. Ihr Vater Gerson war bereits 1905 verstorben. Ihr Bruder Max hatte 1906 die Firma „Gerson Weisner“ mit dem Wollwarengroßhandel in der Mauerstraße 16 übernommen und betrieb ab ca. 1916 zusätzlich zum Wollgroßhandel eine gutgehende Strickwarenfabrik.

Luftbild vor dem 2. Weltkrieg mit dem Haus Lutherstraße 1 (Pfeil)
Luftbild vor dem 2. Weltkrieg mit dem Haus Lutherstraße 1 (Pfeil)

Ende 1931 verzogen sie und ihr Mann in die Lutherstraße 1. 1933, mit der Machtergreifung von Hitler war das wie für alle jüdischen Familien in Deutschland eine dramatische Zeit. Für Paula muss es eine furchtbar traurige Zeit gewesen sein, nachdem ihr Mann daran verzweifelte und am 12. April 1933 Suizid beging. Sie musste mit diesem Schicksal weitgehend alleine zurechtkommen, weil ihr Sohn Heinrich mit seiner Frau Claire und seinen beiden Töchtern, Hannelore und Inge Kassel bereits zu Jahresbeginn 1933 verlassen hatte und zunächst nach Bielefeld zu den Eltern seiner Frau und im Laufe des Jahres weiter nach Amsterdam gezogen war, um dem Naziterror zu entkommen. Der Tod ihres Mannes und der Wegzug von Heinrich mit Familie müssen für Paula sehr hart und traurig gewesen sein. Im Oktober 1933 zog ihre Mutter Lina aus der Mauerstraße 16 zu ihr. 1934 trennte sich ihr Sohn Heinrich von seiner Frau Claire. Paula sorgte sich um ihre Enkeltöchter und nahm Hannelore und Inge daraufhin zu sich. Zwischendurch gab sie sie, weil es ihr in der Betreuung ihrer Enkelkinder zu viel wurde und aus Verfolgungsgründen in das Jüdische Waisenhaus, Gießbergstr. 7, wo sie auch die jüdische Volksschule besucht haben. Die Lutherstraße 1 und die Gießbergstraße 7 lagen sehr nah beieinander (200 m). Kontakte zwischen beiden Orten waren daher vereinfacht möglich. Ihr Bruder Max und seine Familie lebten trotz der schwierigen Zeiten weiterhin in Kassel. Ihr Bruder betrieb unter Hinzunahme von zwei so genannten arischen Geschäftspartnern seine Firma in Kassel weiter. Paulas Neffe, der Sohn von Lina Bachrach, Heinrich flüchtete 1934 nach Holland. Ihr Bruder Max Weisner konnte Anfang 1938 mit seiner Frau Olga und seinen beiden Kindern Gerson Gilbert (18) und Eva (10) in die USA nach Kalifornien emigrieren. Es gelang ihm auch, seinen Haushalt und seine Möbel aus der Hardenbergstraße nach Übersee auszuschiffen und seine Firma an den Teilhaber Wilhelm Döring zu übertragen.

Nachdem sich die Situation für Juden in Kassel massiv zuspitze, insbesondere in der Progromnacht am 7. November 1938, wo SA Männer in das jüdische Waisenhaus eindrangen und alle männlichen Waisenkinder auf die Straße trieben und ins KZ Buchenwald brachten, willigte die Großmutter ein, dass Inge und Hannelore Ende 1938 zurück zur Mutter nach Amsterdam verzogen. Diese hatte inzwischen den Holländer Arnold Monasch geheiratet.

Paula blieb nach dem Tod ihres Mannes Witwe. 1939 im März verzog sie mit ihrer Mutter Lina Weisner in die Kölnische Straße 112. Am 3. September 1939 starb ihre Mutter. Diese wurde wir ihr Vater Gerson auf dem alten jüdischen Friedhof in Kassel Bettenhausen beerdigt. 

Paula versuchte aus Deutschland auszuwandern. Warum sie die Auswanderung erst im Jahr 1941 nachweislich aktiv betrieb, war leider nicht aufzuklären. Es kann aber durchaus mit ihren beiden Enkeltöchtern in Holland zusammenhängen, weil sie sich ja um diese große Sorgen machte oder mit der Pflege und Sorge um ihre Mutter Lina. Endlich, 1941 hatte sie alle notwendigen Anträge gestellt und die geforderte Auswanderungsabgaben bezahlt. Sie saß Ende 1941 buchstäblich auf gepackten Koffern und war bereit und fest gewillt, in die USA, nach Kalifornien ausreisen. Sie wartete vergebens. Die Nazis waren nicht mehr gewillt, ihr diesen Wunsch zu erfüllen. 1942 war sie noch für 4 Monate in der Schillerstr. 7 gemeldet. Am 1. Juni 1942, im Alter von 63 Jahren, wurde sie von Kassel aus in das Vernichtungslager Sobibor nach Ostpolen deportiert. Dort wurde sie am 3. Juni 1942 ermordet. Auf dem alten jüdischen Friedhof in Kassel ist sie zusammen mit ihrem Mann auf dem Familien-Grabstein aufgeführt. Dort steht: „PAULA SCHWARZENBERGER GEB. WEISNER GEB. 27. MAI 1879 GEST. UNBEKANNT WANN U. WO“

 

Wolfgang Bahr, 19.10.2023

 

Quellenangaben:

 

- *Arbeitskreis Heimat und Kultur Neckargartach e.V. (AKHKN)

- Kulturschmiede Neckargartach

- Bundesarchiv (Gedenkbuch)

- Foto: Quelle: Peter Hahn, Heinz Kurz: Neckargartach : Im Wandel der Zeit (Teil 1), Druckerei

Scholz, Flein, Januar 2005 (Veröffentlichung des Arbeitskreises Heimat und Kultur

Neckargartach e.V.) Seite 53, Urheber unbekannt.

- HHStA Wiesbaden (Wiedergutmachungs-Akten, Bestand 270, Kassel Nr. 4566)

- Stadtarchiv Kassel: Kasseler Adressbuch, Hausstandsbücher, Meldekarten

- Dr. Thiele, Uni Kassel, Adressen jüdischer Familien

- Alan Schwarzenberger bzw. Aufzeichnungen seines Vaters Rudolph Schwarzenberger

(England)

- Geni.com/people

- Dr. Thomas Föhl, Klassik Stiftung Weimar

- Stadtarchiv Bielefeld (Liste der in Bielefeld um 1933 ansässig gewesenen Juden und ihre

Schicksale)

- Stolpersteininitiative Bielefeld, Frau Dr. Biermann (Minninger, Monika/Meynert, Joachim

/Schäffer, Friedhelm: Antisemitisch Verfolgte Registriert in Bielefeld 1933-45. Eine

Dokumentation jüdischer Einzelschicksale.

- Bielefelder Beiträge zur Stadt- und Regionalgeschichte 4. Bielefeld 1985, Seite 156.)

- Arolsen Archives, International Center on Nazi Persecution

- Thomas S. Weisner, PhD & Steven Weisner, PhD, CA USA

 

 

Die Ziele des Vereins

Hier können Sie Kontakt mit uns aufnehmen.

TERMINE  2024

17.3. und 24.3.2024

jeweils 14.00 Uhr

Treffpunkt Haltestelle Annastraße (Platz der 11 Frauen)

Führung zu "Stolpersteine und die Zerstörung jüdischen Lebens im Vorderen Westen" im Rahmen der internationalen Wochen gegen Rassismus.

Teilnahme kostenlos

29.06.2024 Verlegung von Stolpersteinen mit Gunter Demnig